Bärbel Schäfer, Kolumne

Nachdenkliches, Persönliches, Humorvolles über das Leben oder über die Welt: Für unsere Kolumne "Zugabe" haben wir hr3-Moderatorin Bärbel Schäfer gefragt, was sie im Moment beschäftigt.

Selbstverständlich knote ich den Plastikbeutel zu und entsorge den Hundekot im Mülleimer. Selbstverständlich halte ich den Sanitätern die Rettungsgasse frei. Selten parke ich das Auto in der zweiten Reihe, und ich überhole wirklich nie jemanden von rechts auf der Autobahn. Ich zahle meine Rechnungen pünktlich und drängele mich nicht an der Supermarktkasse vor. Die meisten von uns stecken morgens, wenn wir die Firma betreten, brav die Stempelkarte in den Automaten und erneut hinein, wenn wir dieselbe wieder in den Feierabend verlassen.

Aber wann und wo sind wir wirklich noch wild und frei von Regeln? Wo sind wir authentisch und noch wir selbst? Frei von Druck und Verantwortung, die das Leben tagtäglich mit sich bringt? Wann sind wir unbeobachtet von den nachbarschaftlichen Blicken, gelöst von unseren eigenen Ansprüchen und den überall lauernden Verboten? Wir halten Diät und lösen Parktickets für eine Stunde, wir lassen den Haaransatz regelmäßig nachfärben, gehen zur Zahnreinigung, hamstern Arbeitsjahre für die Rente, lassen uns scheiden und verlieben uns hoffentlich nicht in den Mann unserer besten Freundin. Versprochen ist versprochen, wir fallen nicht aus der Spur, funktionieren.

Wann beginnt das Leben, von dem uns alle Erwachsenen nach der Schulzeit so viel versprochen haben? Von dem wir selbst so viel erwartet haben. Oder passiert es gerade, während ich meine Steuerklärung mache oder den nächsten Termin für den Winterreifenwechsel mit der Werkstatt koordiniere? War es das schon, ist es das bereits? Machen der zweiwöchige All-inclusive-Urlaub und die Freigetränke an der Poolbar oder der Junggesellenabschied, bei dem sich der zukünftige Bräutigam einen riesigen Plastikpenis umschnallen und unter dem Gelächter seiner Freunde damit quer durch die Fußgängerzone laufen muss, wirklich glücklich? Es ist unser Leben auf diesem Planeten. Das einzige, was wir geschenkt bekommen. Wann spüren wir uns, diesen wilden Atem des Neuanfangs? Bin ich hier noch ich, mit allen meinen Sehnsüchten und Talenten? Wo ist eigentlich der verdammte Ausgang aus unserem Alltagshamsterrad, das sich eben auch gerne mal bis ins tiefste Dunkelgrau verfärbt?

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich weiß schon, dass die Woche nicht täglich Regenbogenfarben trägt. Mir fehlt nichts, aber kennen Sie diesen Sound im Herzen, der einen mit aufgedrehten Boxen, offenem Autodach und Sonnenschein im Gesicht so schrecklich aufgedreht dauergrinsen lässt? Das sollten wir nicht verlieren. Lachen wir uns doch mal wieder mit den alten Kumpels schlapp, brennen wir mal wieder durch! Tun einfach mal nichts, oder eben nur das, worauf wir gerade Lust und Laune haben. Manchmal ist das Korsett des Lebens bloß zu eng geschnürt, dann gilt es tief durchzuatmen, die Notbremse zu ziehen, um sich selbst nicht zu verlieren und wieder etwas Luft zu verschaffen.

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Bärbel Schäfer präsentiert jeden Sonntag von 10 bis 12 Uhr im "hr3-Sonntagstalk" spannende Gespräche mit einem Gast des Tages.

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