Klaus Hofmeister

Es war in einer Hotellobby in Berlin beim Kirchentag. Am Nachbartisch nahmen vier Japaner Platz, Geschäftsleute, drei Männer, eine Frau. Aber was heißt, "sie nahmen Platz".

Sie begrüßten sich zunächst in einer regelrechten Choreografie der Höflichkeit, mit vielen kleinen Verbeugungen, die kein Ende nehmen wollten. Jener sagte was, dieser antwortete, schon wieder Verbeugungen aufs Freundlichste. So sind sie, die Japaner, dachte ich.Erst war ich befremdet, dann zunehmend fasziniert: Ist es nicht schön, wenn Höflichkeit und Respekt die Kultur des Umgangs auf diese Weise prägen?

Denn wenn ich sehe, wie respektlos der amerikanische Wahlkampf war, wie hasserfüllt, wie abwertend man im Internet kommuniziert, macht mir das Sorge. Ich habe mir abgewöhnt, Kommentarspalten im Internet zu lesen. Es ist eine Frage der Seelenhygiene. Unkultur rührt die negativen Möglichkeiten des Menschen auf, Kultur verstärkt die positiven Kräfte.

Respekt hat von der ursprünglichen lateinischen Wortbedeutung her mit Rücksicht zu tun, mit Zurückschauen, Berücksichtigung. Es steckt das Sehen darin. Ich "würdige" den anderen eines Blickes, schenke ihm "Ansehen". Das lässt sich ganz alltäglich üben: Wenn ich beim Einkaufen oder am Bahnhof eine Schwingtür aufstoße, habe ich mir angewöhnt, schnell zurückzuschauen, ob nicht hinter mir noch jemand rein will. Dann halte ich die Tür, lächele, suche einen Sekunde den Blickkontakt. Das wird immer honoriert. Es ist ganz leicht, fast banal, auf diese Weise das Positive zu multiplizieren. Eine winzige Geste des Respekts, der Zuwendung im Vorbeigehen – und schon lächeln zwei. Diese Art Erderwärmung, die emotionale,  können wir gebrauchen. Man soll sich solche "naiven" Gesten der Weltverbesserung auf keinen Fall austreiben lassen, weil es ja "doch keinen Zweck" hat, sondern sie einfach üben. Damit schafft man in seinem kleinen Umfeld eine Kultur des Respekts.

In der Champions-League tragen alle Spieler die Aufforderung zum "Respect" auf dem Trikot. Ich schlage vor, dass sich auch die Politiker im bevorstehenden Wahlkampf diesen Schriftzug dezent an ihre Sakkos heften... Martin Schulz hat sich beim Kirchentag verpflichtet, bei aller Härte der Auseinandersetzung im Wahlkampf den politischen Gegner zu respektieren, auch wenn er ganz anderer Meinung ist. Immerhin, und schade, dass es eigens betont werden muss.

Viele Menschen glauben, sie werden groß, wenn sie andere klein machen. Das ist das Missverständnis derer, die keinen Selbst-Respekt haben. Die Größe des Menschen liegt darin, auch andere groß sein zu lassen. Sich ihrer Stärken zu freuen. Wenn die Japaner am Nachbartisch sich voreinander respektvoll verneigen, inszenieren sie in ihrem Tanz der Höflichkeit genau das: Ich respektiere Dich, wir teilen die gleiche Würde. Als Menschenkinder sind wir ohnehin alle Geschwister. Es müsste sich nur noch etwas mehr herumsprechen.