Bärbel Schäfer

Meine T-Shirts sind stärker als ich. Ich sitze auf dem Koffer und verliere den Kampf gegen Flipflops, Sommerkleider und die Bücher. Check-in ist in 45 Minuten. Flieger warten bekanntlich nicht.

Mein Taxifahrer steht vor der Tür und hat seine Ungeduld bereits durch mehrfaches Hupen signalisiert. Dieser verdammte Koffer geht aber nicht zu. Steht das ganze Jahr im Schrank und wenn ich ihn jetzt für dieses verlängerte Wochenende aus der verstaubten Ecke hole – macht er sich klein. Ich bin mit einem niedrigen Blutdruck gesegnet, werde selten panisch, aber auf einer Skala von eins bis zehn bin ich momentan gefühlt bei neun. Ich bin keine Size-Zero-Frau, aber so raumgreifend können meine Tops und Lieblingsjeans in den letzten Monaten nicht geworden sein, dass sie sich jetzt mit Gewalt gegen die Kofferinnenseite stemmen. Sie trotzen meinem Gewicht. Draußen hupt der Fahrer jetzt im Autokorsomodus, als wäre die Eintracht Meister gewonnen. Es muss was raus? Die Wetter-App sagt gemischtes Wetter voraus. Windjacke, Socken, zwei Paar Sneakers und der Blazer müssen mit. Ich drehe gleich durch. Selbst mein Hund auf der grünen Cordcouch scheint mich auszulachen. Der liegt selbst herum, als hätte er eine Jahreskarte fürs Chillen gebucht. Wenn einer von uns beiden die Auszeit wirklich nötig hat, dann ja wohl ich. Meine Erschöpfung finanziert seinen vollen Napf. Mittlerweile hüpfe ich mit den Knien auf dem Koffer. Ein Vierbeiner, der seit Wochen wie eine Koralle mit dem Sofa verwächst, ist eben keine echte Hilfe. Ich brauche diesen Kurztrip als Auszeit vom Hund, Job, den Hausaufgaben der Kinder, der Oma und Familie. Mein kreativer Speicher ist ausgepowert und der Abgabetermin für mein neues Buch lauert im Nacken. Eigentlich darf ich nicht weg, sagt mir meine calvinistische Dauerdisziplin. Bestimmt sitzt mein schlechtes Gewissen zwischen den Tanktops und Bikinis, weil ich in diesem engen Zeitfenster unvorsichtigerweise ein verlängertes Wochenende mit meinen besten Freundinnen zugesagt habe. Drei Tage Nizza. Der Taxifahrer scheint seinen Daumen auf der Hupe geparkt zu haben. Mein Nachbar klingelt und macht sich Sorgen. Erst um meinen Gesundheitszustand, als er meinen knallroten Kopf im Türrahmen leuchten sieht. Dann um den Koffer. den ich in Bauchlage malträtiere. Ich bin urlaubsreif und unfähig, einen Koffer zu schließen. Ich verspreche ihm für die kommenden drei Monate Pizzalieferung frei Haus, wenn er es schafft sollte, dass sich die beiden Kofferschnallen schließen. Im Taxi falle ich erschöpft in den Sitz. Mein Nachbar steht in der Einfahrt und winkt uns mit ein Paar quietschgelben Flossen hinterher. Endlich Urlaub.

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Bärbel Schäfer präsentiert jeden Sonntag von 10 bis 12 Uhr im "hr3-Sonntagstalk" spannende Gespräche mit einem Gast des Tages.

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