Familie (Vater, Mutter, dahinter Kind) schauen aus dem Eingangsbereich einer Tür hinaus in den dichten Graupelregen. Filmszene mit Serkan Kaya, Katja Studt

Das Drama "Die Luft, die wir atmen", zu sehen am Mittwoch, 2. Februar, in der ARD und vorab in der ARD Mediathek, ist der erste grün gedrehte Spielfilm des hr – und ein Startschuss: 2022 produziert der hr die Häfte seiner Spielfilme umweltschonend, bis 2024 wird komplett auf "Green Production" umgestellt. Die Ideen des ersten grünen hr-Drehs sind zudem eingeflossen in verpflichtende "Ökologische Mindeststandards für deutsche Kino-, TV-, Online- und Video-on-demand-Produktionen": vom umweltschonendem Drehbuch über Bio-Filmschminke bis zu Special Effects mit Regenwasser vom Landwirt.

Einen Spielfilm klimaschonend zu drehen – geht das überhaupt? Erst war es eine Idee, dann eine Herausforderung für die Filmschaffenden des Hessischen Rundfunks, bald Ansporn. Der Spielfilm "Die Luft, die wir atmen" sollte die erste grüne hr-Produktion sein – die erste von vielen weiteren und ein Startschuss fürs "Green Shooting" im Hessischen Rundfunk. Doch bevor im Frühjahr 2020 am Set im Taunus die erste Klappe fiel, stürzten täglich neue Fragen auf Produktionsleiter Dominik Diers und sein Team ein: Ist das Hotel für die Schauspiel-Crew umweltzertifiziert? Wo kriegt die Maske Bio-Kosmetik her, die vor Spielfilmkameras besteht? Sind die Bügel beim Kostüm aus Plastik, Draht oder Holz? Bietet das Catering regionale und vegetarische Kost an? Kann man am Filmset einen Anschluss für grünen Strom legen lassen? Dann recherchierten sie Öko-Labels und Inhaltsstoffe, Herstellungsarten und Energieverbräuche und klickten sich rein in den CO2-Rechner.

Porträt hr-Produktionsleiter Dominik Diers

Denn Dominik Diers wusste: Spielfilmdrehs sind energiefressende Produktionen. Noch immer landen am Set oft Tausende Plastikbecher im Müll, während Dieselgeneratoren, Auto- und Flugreisen Hunderte Tonnen CO2 in die Luft schleudern. Der hr will gegensteuern, so Diers: "Wir Filmschaffenden beim hr sehen uns in der Verantwortung für mehr Nachhaltigkeit. Wir müssen und wollen uns mit unserem Handeln dem Klimawandel entgegenstellen. Da ist nicht mehr die Frage ob, sondern wie."

Sendetermin: 2. Februar 2022 in der ARD

Regiestuhl und Monitor draußen am Set, daneben stehen in Rückansicht zwei Männer

Gut ein Jahr Jahre später: Der Film wurde fertig geschnitten und vertont. Der Sendetermin steht: 2. Februar 2022 in der ARD. Und da lag sie endlich auf dem Tisch – nur digital auf dem Desktop, nicht ausgedruckt: die Bilanz des ersten grünen Spielfilmdrehs des hr. Strich drunter unter die Zahlenreihen mit CO2-Verbräuchen von Technik, Kulissenbau, Requisite, Kostüm, Catering und Co., summa summarum und … geschafft! "Die Luft, die wir atmen" hatte als einer der ersten Filme erfolgreich die Kriterien des "Arbeitskreises Green Shooting" erfüllt, einer Nachhaltigkeitsinitiative von Sendern, Produktionsfirmen, Filmförderungen und Verbänden sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, die sich in einem Pilotprojekt zu "100 grünen Produktionen" in 2020/21 verpflichtet hatten. Die grünen Ideen des hr-Filmteams mündeten in den "Ökologischen Mindeststandards für deutsche Kino-, TV- und Online-/Video-on-demand-Produktionen", ein ab 2022 verpflichtendes Regelwerk für nachhaltige Kino- und TV-Produktionen in Deutschland.

Umweltschutz vor der ersten Klappe: ein nachhaltiges Drehbuch

Videobeitrag

Video

alle wetter! - "Green Shooting"

Vorschaubild: alle wetter! - "Green Shooting"
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Unterm Strich: 58.625,46 kg. So viel CO2 wurde verbraucht. Gegenüber der unter normalen, "umweltsündigen" Produktionsbedingungen für diesen Film veranschlagten Menge hat man 7,52 Prozent CO2 eingespart. Klingt gar nicht so viel? "Sie müssen wissen", sagt Fabian Linder, externer Green Consultant für den Film, "dass ein durchschnittlicher 'Tatort' beispielsweise 100.000 bis 120.000 kg verbraucht. Blockbuster können auch mal 500.000 kg CO2 emittieren." Dagegen sei der CO2-Verbrauch dieses ARD-"Mittwochsfilms" sehr gering, etwa so wenig wie bei einer Folge einer Vorabendserie. Linder erklärt: "Bei diesem Spielfilm hat der hr den größten Beitrag zum Klimaschutz bereits vor der ersten Klappe erarbeitet – mit einem nachhaltigen Drehbuch: wenige unterschiedliche Drehorte, somit weniger Auf- und Umbauten, möglichst lang zusammenhängende Einsätze der Schauspieler*innen, somit weniger Reisen."

Am Set: Öko-Strom statt Diesel-Aggregat

Ein Trafohäuschen für Ökostrom auf dem Acker, Strohballen davor, Starkstromkabel führen weg

Motivaufnahmeleiter Robert Hertel, während des Drehs zum zweiten Green Consultant des Films ausgebildet, ergänzt: "Man muss viel früher beginnen, nachhaltig zu handeln, und viel Zeit in die Motivsuche investieren." So hat er ihn gefunden, den idealen Drehort: Die Jugendherberge Oberreifenberg im Taunus passte nicht nur ideal zur Geschichte des Films, sondern bot auch genügend Räume, sodass man anders als sonst keine Wohnmobile für Maske, Garderobe und Schauspieler*innen ans Set transportieren musste. Hertel kann Anekdoten erzählen, wie kompliziert es sein kann, anderthalb Kilometer Starkstromkabel zu zwei Ökostrom-Verteilerkästen zu verlegen. Doch das Ergebnis zählt: Der Diesel-Lkw, der sonst ein tonnenschweres Diesel-Stromaggregat in den Taunus hätte schleppen müssen, blieb ungenutzt – und emissionsfrei – stehen.

"Wir wollen uns dem Klimawandel entgegenstellen"

Zitat
„Dass Nachhaltigkeit unserem Publikum wichtig ist, zeigt sich spätestens, seitdem Tausende Menschen dafür auf die Straße gehen. Wir wollen zeigen, dass wir im hr verstanden haben: Besser wird es nur, wenn alle mitmachen – auch wir.“ Intendant Manfred Krupp Intendant Manfred Krupp
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Darsteller*innen, die länger als zwei Tage vor Ort waren, übernachteten in Ferienwohnungen statt in verbrauchsintensiveren Hotels und reisten mit der Bahn statt mit dem Flieger. Szenenbildner*innen verwendeten umweltfreundliche Stoffe, Baumaterialien und Kulissen aus früheren Produktionen. Kostümleute nutzten Second-Hand-Kleidung und reinigten mit ökologischem Waschmittel. Maskenbildner*innen schminkten mit umweltschonend und natürlich hergestellten Make-Ups, mit Pinseln aus recyceltem Material und Bambus-Wattestäbchen.

LED-Scheinwerfer und Hybridfahrzeuge

Thermos-Teekanne und Plastikbecher mit Namen beschriftet; Namensaufkleber

Die Aufnahmeleitung tauschte alle Batterien durch wiederverwendbare Akkus aus. Die Lichttechnik leuchtete ausschließlich mit LED-Scheinwerfern aus, was deren Stromverbrauch um 40 Prozent reduzierte. Ohnehin versuchte man, viel Tageslicht zu nutzen. Die Fahrbereitschaft organisierte eine große Anzahl an Hybridfahrzeugen. Nur Lkw als Hybrid, die konnte sie nicht organisieren. Da war die TV-Produktion schneller als der Mietwagenmarkt, der diese noch nicht anbot.

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„Dass Dreharbeiten nachhaltiger werden müssen, ist Fakt. Dass der Hessische Rundfunk seine Eigenproduktionen grüner gestaltet, finde ich toll und bin sehr froh, mit meinem Film ‚Die Luft, die wir atmen‘ dieses neue Zeitalter einzuläuten.“ Regisseur Martin Enlen Regisseur Martin Enlen
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Drehbücher gab’s nur digital auf Laptops, und wenn überhaupt etwas ausgedruckt wurde, dann auf recyceltem Papier. Und bitte den letzten Rest anfallenden Müll sortenrein trennen, Hinweisschilder dazu überall am Set. Statt Plastikbecher nutzte die Crew Porzellantassen und wiederverwendbare Flaschen für die Wasserspender. Einzig Fleischgerichte wurden von manchem vermisst, aber das hat man der Umwelt zuliebe gern verkraftet.

Special Effects: Regenwasser vom Landwirt statt Leitungswasser

Tankwagen (Anhänger) eines Landwirts steht auf einer Straße, davor steht Motivaufnahmeleiter und Green Consultant Robert Hertel

Zwischendrin kam der Traktor herangetuckert: Für den Kunstschnee, der laut Drehbuch herabrieselt, wandte sich Robert Hertel an einen Landwirt aus der Umgebung, der einen 9.000-Liter-Tankwagen randvoll mit gesammeltem Regenwasser herankarrte – Ackerkrume klebte auch dran. Kein Tropfen Frischwasser wurde für den Schnee verbraucht, ein Beitrag zum Umweltschutz, der in der CO2-Bilanz gar nicht auftaucht. "Grünes Drehen bringt auch einen Zugewinn an Kreativität", hat Green Consultant Fabian Linder oft erfahren. "Da passiert etwas mit den Leuten, das wirkt sich bis ins Privatleben aus."

Corona stoppte den Dreh

An der Kamera Kameramann Philipp Timme, Setmitarbeiter, ganze Szene voll mit Hagelniederschlag

Doch dann kam Corona. "Dreharbeiten abgebrochen!" Teammitglieder mussten einzeln in Autos anreisen, das Catering durfte nur separat verpackte Essen zubereiten, alles und jede*r fand sich hinter Plastik abgeschirmt wieder. Für die CO2-Bilanz eine Katastrophe. Die größten Verbrauchsposten Ausstattung, Catering, Personentransport schlugen ungeplant höher als kalkuliert zu Buche. "Das hat unsere Zielmarke stark gedrückt", räumt Dominik Diers ein. "Jedoch: Wir hatten vor der Drehunterbrechung schon solche Mengen an CO2 eingespart, dass es selbst trotz Corona-Bedingungen für eine grüne Bilanz gereicht hat." 2022 wird der hr bereits die Hälfte seiner Spielfilme grün produzieren. Bis 2024 will der Sender alle TV-Produktionen – von Show bis Spielfilm – komplett nachhaltig drehen.

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Nachhaltigkeitsinitiative der Film- und TV-Branche

Der erste nachhaltig produzierte hr-Spielfilm "Die Luft, die wir atmen" war einer der ersten abschließend bilanzierten Filme des Pilotprojektes "100 grüne Produktionen" des gemeinsamen Arbeitskreises Green Shooting der Film- und TV-Branche. Die Ergebnisse des hr sind eingeflossen in ein wissenschaftlich ausgewertetes, einheitliches Regelwerk für nachhaltige Filmproduktionen in Deutschland: die "Ökologischen Mindesstandards für deutsche Kino-, TV-, Online- und Video-on-demand-Produktionen" des Arbeitskreises Green Shooting, eine ambitionierte und ab 2022 verbindliche Selbstverpflichtung von Sendern, Filmproduktionen, Video-on-demand-Anbietern, Filmförderungen und Verbänden sowie der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Auch der hr arbeitet daran, diese nachhaltigen Standards bis Ende 2024 bei allen Produktionen komplett umzusetzen. Für sein nachhaltiges Engagement beim Drehen ist der hr mit "Die Luft, die wir atmen" für den "Eisvogel - Preis für nachhaltige Filmproduktionen" nominiert. Der bisher einzige deutsche Preis dieser Art wird erstmalig am 10. Februar 2022 vom Bundesumweltministerium und der Heinz Sielmann Stiftung in Kooperation mit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien vergeben.

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"Die Luft, die wir atmen"

An einem klirrend kalten Wintertag besuchen mehrere Gäste ihre Angehörigen in einem Altersheim im Frankfurter Umland: Ein Mann will seine an Parkinson erkrankte Frau überreden, sich im gemeinsamen Haus von ihm pflegen zu lassen. Eine Tochter streitet mit ihrem dementen Vater über die Vollmacht fürs Konto, und ein Sohn sitzt am Sterbebett seiner Mutter und kann nicht loslassen. Dann setzt plötzlich Eisregen ein: Angehörige, Bewohner*innen und Pflegekräfte sitzen fest ... Das Drama "Die Luft, die wir atmen" wurde in Oberreifenberg im Taunus sowie im Studio im Funkhaus Frankfurt gedreht. In den Hauptrollen: Rainer Bock, Ruth Reinecke, Bernadette Heerwagen, Gerd Wameling, Katharina Nesytowa, Barbara Philipp, Thomas Loibl, Neda Rahmanian, Katja Studt und Patrycia Ziolkowska. Regie: Martin Enlen, Drehbuch: Julia C. Kaiser. Der Film ist am Mittwoch, 2. Februar 2022, um 20.15 Uhr in der ARD zu sehen und danach hier in der ARD-Mediathek.

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