(v.l.n.r.): Sinaida Thiel (Gleichstellungsbeauftragte), Sonja Kirste (Redakteurin), Ute Wellstein (Leiterin Studio Wiesbaden) und Jascha Kalina (Informationselektronikerin)

Halbtags arbeiten, Leitungspositionen teilen, Kinder im Homeoffice betreuen: bis vor wenigen Jahren in den meisten Unternehmen undenkbar. Lange standen insbesondere Frauen vor Karrierehürden, weil Gleichstellung in der Arbeitswelt unterschätzt wurde. Was hat sich verändert? Und was muss weiter hinterfragt werden? Frauen aus dem Hessischen Rundfunk erzählen.

Wie schätzen Sie die Vereinbarkeit von Kind und Karriere im Hessischen Rundfunk ein? Welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht?

Ute Wellstein (Leiterin Studio Wiesbaden)

Ute Wellstein (53), Leiterin Studio Wiesbaden, 3 Kinder: Ich habe das erste und zweite Kind quasi gleichzeitig bekommen: meine Töchter sind Zwillinge und wurden 1997 geboren, vier Jahre später kam noch mein Sohn dazu. Damals gab es fast keine Redakteurinnen mit Kindern, keine Vorbilder. Allerdings wurden ziemlich viele Frauen gleichzeitig mit mir Mutter. Ich war freie Mitarbeiterin und konnte meine Arbeitszeit dadurch von Dienstplan zu Dienstplan anpassen. Fünf Monate nach der Geburt der Zwillinge fing ich wieder an zu arbeiten: wochenweise, weil Dienste immer für eine ganze Woche vergeben wurden – also halbe Tage arbeiten oder nur drei bis vier Tage pro Woche, das ging nicht. 

Sonja Kirste (Redakteurin)

Sonja Kirste (39), Redakteurin mit besonderen Aufgaben im Bereich Multimedia, 2 Kinder: Beide Schwangerschaften (2014 und 2016) sind von meinen Chefs und auch von den Kolleg*innen damals sehr positiv aufgenommen worden, auch wenn ich bei beiden Kindern Teamleiterin war und wir eine Nachfolge organisieren mussten. Der Teufel steckt aber ja wie so oft im Detail. Denn beide Male durfte ich nach der Elternzeit nur mit 50 Prozent wieder in den Job zurückkommen. Das hat mich sehr enttäuscht und ich musste mir mein höheres Kontingent hartnäckig zurückerobern. Ein wenig später habe ich die Position gewechselt und konnte eine Leitungsposition in der geteilten Führung mit einer Kollegin übernehmen. Mit dem neuen Chef gab es neue Möglichkeiten. Da würde ich mir schon wünschen, dass das nicht so sehr von einzelnen Vorgesetzten abhängt. Inzwischen sind aber beispielsweise Führungsteams ja sehr etabliert, also hoffe ich, dass die positive Entwicklung hier weitergeht.  

Jascha Kalina (Informationselektronikerin)

Jascha Kalina (23), Informationselektronikerin, keine Kinder: Ich kann mir momentan eher nicht vorstellen, Kinder zu bekommen. Aber was ich so in meinem Umfeld mitbekomme, ist es heute kein Problem, wenn auch Väter mit ihren Kindern zum Arzt müssen oder Frauen nicht immer greifbar sind. Das klappt gut.

Fühlen Sie sich als Frau im Team auf Augenhöhe mit Kollegen und Chefs? Was hat sich im Laufe der Zeit verändert?

Ute Wellstein: Das war früher schon anders als heute. Ich habe mal in einer Konferenz darum gebeten, dass nicht geraucht wird. Ich habe Asthma und an diesem Tag hatte ich Atemprobleme. Der Chef sagte zu mir nur: "Dann setz Dich dahinten ans Fenster!", und qualmte weiter. Undenkbar heute. 

Sonja Kirste: Als Vorreiterinnen mit der geteilten Führung gab es da schon auch mal Kommentare. Ehrlicherweise oft von älteren, eher männlichen Mitarbeitern. Aber das hat sich in der Zwischenzeit mit den heute viel üblicheren flexiblen Arbeitszeiten und auch durch Corona zumindest in meinem Umfeld sehr verändert. Ich glaube auch, gerade der erste Lockdown – ohne Betreuung durch Kita, Schule oder Großeltern – hat auch dem ein oder anderen Vater der älteren Schule nochmal deutlicher die Augen geöffnet. Komische Kommentare erlebe ich in meinem persönlichen Umfeld zum Glück heute nicht mehr. 

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Jascha Kalina: Ich habe ein tolles Verhältnis zu meinen Kollegen, wir sind wie Freunde. Einmal kam von einem Kollegen ein blöder Spruch, als ich mir die langen Haare abrasiert habe, das hat mich schon erstmal gekränkt, aber wir haben das geklärt und jetzt ist es wieder okay. Meine Abteilungsleiterin hat immer ein offenes Ohr für mich, auch wenn es mir mal nicht gut geht, und sie stärkt mir den Rücken gegen die Männer, die in meinem Bereich die große Mehrheit sind. Einige männliche Kollegen sind der Meinung, dass Frauen inzwischen nicht nur gleichberechtigt sind, sondern manchmal bevorzugt werden. Das sehe ich nicht so – in der Ausbildung, die ich zusammen mit einem Mann absolviert habe, musste ich im Gegensatz zu ihm manchmal darum kämpfen, wahrgenommen zu werden.

Ihr Tipp für andere Kolleginnen:

Ute Wellstein: Immer dran bleiben! Es gibt Zeiten, in denen man weniger arbeitet der Familie wegen, das war bei mir auch so. Aber wenn ich da war, habe ich mich reingehängt. Und für die interessanten, wichtigen Aufgaben habe ich auch außer der Reihe gearbeitet, mich freiwillig gemeldet. Wer nicht signalisiert, dass die Arbeit mehr ist als nur Broterwerb, wird auch nicht wahrgenommen.

Sonja Kirste: Zwei Dinge: Erstens: Hört niemals auf, Dinge zu hinterfragen. Zeiten ändern sich und mit ihr unsere Arbeit. Und auch wenn die Arbeit im besten Fall richtig viel Spaß macht, sollte da noch Platz für dieses Leben da draußen sein. Und zweitens, man kann es nicht oft genug sagen,: bildet Banden! Vernetzt euch, tauscht euch aus, verknüpft euch mit anderen. Empfehlt euch gegenseitig weiter und unterstützt euch. Es ist genug Platz am Tisch für ganz viele von uns.

Jascha Kalina: Sich nicht unter Wert zu verkaufen, einen Standpunkt aufzubauen und sich nicht unterkriegen zu lassen. Klar die eigenen Bedürfnisse formulieren und kommunizieren, so wie das Männer auch ganz selbstverständlich tun.

Sinaida Thiel (45), Gleichstellungsbeauftragte im hr, 2 Kinder

Frau Thiel, warum gibt es den Internationalen Frauentag immer noch? Sind Männer und Frauen inzwischen nicht gleichberechtigt?

Ein Phänomen kann man sehr oft beobachten: Ein Frauenanteil von 30 Prozent wird für eine paritätische Zusammensetzung gehalten, bei einer 50/50-Verteilung gibt es eine gefühlte Frauendominanz. Sobald sie sichtbar werden, wird ihr zahlenmäßiger Anteil massiv überschätzt. Diese Beobachtung ist auch auf Minderheiten und andere benachteiligte Gruppen anwendbar und in soziologischen Studien nachgewiesen. Die Wahrnehmung ist verzerrt und muss mit sachlichen Zahlen ausbalanciert werden. Denn uns allen fällt das auf, was nicht der Norm entspricht. Und die Norm ist nach wie vor männlich-weiß-heterosexuell. 

Sinaida Thiel (Gleichstellungsbeauftragte)

Was kann der Hessische Rundfunk in Hinblick auf Gleichberechtigung noch verbessern?

Luft nach oben ist ja immer und beim Thema Gleichstellung sowieso! Wir im hr können noch einiges tun, um allen Menschen, Frauen und Männern, die gleichen Chancen und Bedingungen zu geben. Dazu gehört auch, dass jede Person sich selbst hinterfragt, ob die eigene Meinung auf Gefühlen und Annahmen basiert oder ob auch Zahlen und Fakten eine Rolle spielen. Dieser Gedankenprozess ist ein wichtiger Baustein einer gleichberechtigten, offenen Unternehmenskultur. Aber auch unsere Strukturen können noch etwas mehr vertragen: Die Zielvorgaben des Frauenförderplan sind noch nicht in allen Bereichen erfüllt und auch in unseren journalistischen Produkten sind nicht immer Männer und Frauen paritätisch zu sehen und zu hören.