Petra Boberg (li.) und Sabine Mieder berichten vom Projekt "Unterricht ungenügend".

Als Quereinsteigerin mehrere Monate in einer Brennpunktschule arbeiten und dabei rund um die Uhr von Kamera und Mikrofon begleitet werden: hr-iNFO Redakteurin Petra Boberg und hr-fernsehen Redakteurin Sabine Mieder erklären im Interview wie diese Idee entstand, wie das Material aufgezeichnet wurde und alle Hintergründe zum Projekt "Unterricht ungenügend".

Drei Monate Selbstversuch: Als ungelernte Kraft haben Sie, Petra Boberg, in einer Brennpunkt-Grundschule unterrichtet. Wie ist diese Idee entstanden?

Sabine Mieder: Wir beide hatten schon ziemlich lange die Idee: Wir wollten etwas zum Thema Bildung machen, speziell im Hinblick auf den Lehrermangel. Und da wir beide Mütter sind und das Elend am eigenen Leib miterlebt haben, war der Lehrermangel in Hessen für uns sowieso ein Thema.

Petra Boberg: Die Idee, dass ich den Selbstversuch mache, ist in der Recherche entstanden. Bildung ist mein journalistisches Schwerpunktthema, daher hatte ich Kontakte zu Quereinsteigern. Aber da sie alle befristete Verträge hatten, wollten sie vor der Kamera oder vor dem Mikrofon nicht so gerne über Schwierigkeiten reden. In so einem großen Projekt nur mit Anonymisierung zu arbeiten, ist sehr schwierig, für das Fernsehen sogar fast unmöglich. Da hatte Henning Steiner aus der hr-iNFO Story-Redaktion die Idee: Mach‘ doch einfach einen Selbstversuch. Denn Quereinsteiger brauchen zwar eine akademische Ausbildung, aber kein pädagogisches Studium.

Sabine Mieder: Wir wussten, wir müssen bei einem so großen Projekt mehr leisten, als den Empörungsfaktor. Und weil Petra tatsächlich den Mut hatte, sich vor zwei Klassen zu stellen, waren wir in der Lage, auch nach ganz konkreten Lösungswegen zu suchen. Insofern war der Selbstversuch Gold wert, denn aus der persönlichen Erfahrung lässt sich am besten ableiten, wo die größten Probleme bestehen und was passieren muss, um diese lösen zu können.

Aus den drei Monaten ist viel Material entstanden: von Hörfunk- und Fernsehbeiträgen über Insta-Stories bis hin zu einem Online-Spiel. Wie sah die Arbeit neben der eigentlichen Arbeit als Lehrerin aus?

Petra Boberg: In den ersten beiden Wochen war ich alleine in der Schule, das war eine Vorgabe der Schulleiterin, um die Schüler erst einmal kennenzulernen und in die neue Aufgabe rein zu finden.

Sabine Mieder: Außerdem hatte die Autorin Brigitte Kleine im Vorlauf schon wahnsinnige Arbeit geleistet, indem sie von allen Schülern und Schülerinnen Einverständniserklärungen eingeholt hat, damit wir sie filmen dürfen. Das war ganz toll, dass die Eltern dieser Kinder das Projekt mit unterstützt haben.

Petra Boberg: Gemeinsam mit den Tontechnikern und der Autorin war Kamerafrau Tine Kaltenschnee jede Woche zwei Tage in der Schule mit dabei. Am Anfang waren die Kinder noch interessiert, aber Tine war so beweglich, so zurückhaltend und so nett, dass die Kinder glücklicherweise das Kamerateam komplett vergessen haben. Und dadurch ist das Material so authentisch geworden. In den Pausen und den Bastelphasen kam Brigitte dann zu mir und hat unmittelbar gefragt: Warum ist es gerade so laut? Und das ist das Besondere an dem Material, dass es unmittelbar ist und nicht erst danach in der Reflexion entstanden.

War das für Sie persönlich die größte Herausforderung bei dem Projekt, Frau Boberg?

Petra Boberg: Dass das Material unmittelbar in der Situation entstanden ist, war sehr anstrengend für mich. So ins Schwimmen zu geraten und dabei auch noch gefilmt zu werden, war alles andere als einfach. Denn wer zeigt schon gerne, dass er eine Situation nicht beherrscht. Und das dann auch noch direkt zu reflektieren vor der Kamera war sehr anstrengend – auch körperlich. Außerdem war es für mich eine ganz andere Form der Recherche. Normalerweise entscheidet man sich für ein Thema und hat schon die Basisfakten, kennt die Herausforderungen. Bei diesem Selbstversuch sind viele Dinge passiert, die wir nicht vorhersehen konnten. Aber die größte Herausforderung war, dass die Kinder mir zuhören. Das habe ich nicht geschafft. Da hat mir das pädagogische Know-How gefehlt. Ich hatte keine Methoden, denn ich hatte ja kein Seminar, keine Einführung, keine pädagogische Qualifizierung – nichts.

Sabine Mieder: In Hessen gibt es da für Quereinsteiger keine Unterstützung, bevor sie zum ersten Mal vor eine Klasse geschickt werden. In der Doku wird das deutlich, dass es Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt. In Berlin zum Beispiel gibt es ein ganzes Quereinsteiger-Programm, das verpflichtend ist. In Hessen gibt es nur eine freiwillige Qualifizierung, aber nur über sechs Tage und nur, wenn man schon sechs Monate im System ist.

Wie ist das Gefühl nun bei der Ausstrahlung der Beiträge?

Petra Boberg: Einerseits: Bei meinem Selbstversuch von einer Kamera begleitet zu werden war eine ganz besondere Erfahrung, daher ist es auch ein bisschen aufregend, das Ergebnis im Ersten zu sehen. Andererseits – es gab auch viele positive Momente, Dinge die geklappt haben, Fortschritte in meiner Arbeit und damit auch Lernerfolge für die Kinder.

Sabine Mieder: Du lässt zu, dass man Dir dabei zusieht, wie manches richtig in die Hose geht, manches aber auch richtig gut klappt. Daher sind es sind zwei Dinge: Zum einen ist es das pädagogische Scheitern, was gar nicht anders sein kann, und zum anderen dieser Mut von Petra, sich dabei zusehen und –hören zu lassen, ein ganz großer Wert, um vielleicht auch gesellschaftlich etwas in Bewegung zu setzen.

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