Nachhaltige Filmproduktion Der hr dreht "grün"
Ökostrom, LED-Scheinwerfer, Fahrräder am Set und Requisiten vom Flohmarkt – der Hessische Rundfunk dreht einen klimafreundlich produzierten Spielfilm. Doch bevor im Taunus die erste Klappe fällt, hat Produktionsleiter Dominik Diers viel zu klären wie: Können Special-Effects auch ohne Chemie gelingen?
Zack, gleich die nächste Frage: Ist das gebuchte Hotel für die Schauspiel-Crew umweltzertifiziert? Dominik Diers muss erst einmal rumtelefonieren, wie so oft in den vergangenen Wochen. Täglich klärt er Fragen: Wo kriegt die Maske Bio-Kosmetik her, die auch vor Spielfilmkameras besteht? Sind die Bügel beim Kostüm aus Plastik, Draht oder Holz? Bietet das Catering regionale und vegetarische Kost an? Kann man am Filmset einen Stromanschluss legen lassen und liefert dieser auch wirklich grüner Strom? Dann recherchiert er Öko-Labels und Inhaltsstoffe, Herstellungsarten und Energieverbräuche und klickt sich am Monitor rein in den CO2-Rechner.
Green Shooting
Denn Dominik Diers, Produktionsleiter beim hr, hat eine Mission: Er will seinen nächsten Spielfilm umweltschonend produzieren. "Green Shooting" nennt sich das. Einige Vorreiter der Branche haben dazu einen "Grünen Drehpass" entwickelt, der mit Best-Practice-Beispielen zeigt, wie nachhaltige Filmproduktion gelingen kann. Und der hr geht mit: Der Spielfilm "Die Luft, die wir atmen", der von Ende Februar bis Anfang April in Oberreifenberg im Taunus gedreht wird, soll die erste "grüne" hr-Produktion sein – die erste von weiteren. Mit dieser Entscheidung und einer Anschubförderung hat Fernsehdirektorin Gabriele Holzner den Startschuss fürs "Green Shooting" im Hessischen Rundfunk gegeben.
"Wir sehen uns in der Verantwortung"
Beim Dreh von Spielfilmen landen üblicherweise Tausende Plastikbecher im Müll, während ungefilterte Dieselgeneratoren, Auto- und Flugreisen pro Film 600 bis 1.000 Tonnen CO2 in die Luft schleudern. TV- und Spielfilmproduktionen verbrauchen unvermeidlich Ressourcen und Energie. Doch Dominik Diers will gegensteuern: "Wir, die Filmschaffenden beim hr, sehen uns in der gesellschaftlichen Verantwortung für mehr Nachhaltigkeit. Wir müssen und wollen uns mit unserem Handeln dem Klimawandel entgegenstellen. Das ist nicht mehr die Frage ob, sondern wie." Auch Intendant Manfred Krupp unterstreicht: "Dass Nachhaltigkeit unserem Publikum wichtig ist, zeigt sich spätestens, seit Tausende Menschen wöchentlich dafür auf die Straße gehen. Wir wollen zeigen, dass wir im hr verstanden haben: Besser wird es nur, wenn alle mitmachen – auch wir." Gemeinsam sollten alle Mitarbeiter*innen mitwirken, dass der hr beim Thema "grüne" Filmproduktion vorangehe.
Wo anfangen?
Doch wo fängt man an? Nachhaltigkeit ist ein Querschnittsthema, das alle Bereiche betrifft: von der Beschaffung der Materialien über Strom, E-Autos, Dienstreisen und Catering bis hin zur Frage, ob der durstige Held auf dem Bildschirm aus einer Plastik- oder einer Glasflasche trinkt. "Wir sind Lernende. Es geht es um einen Anfang, um unseren Beitrag zum Schutz der Erde. Es geht nicht um Perfektion, die kann es gar nicht geben", sagt Diers und zupft an seinem Sweater. "Ich weiß jetzt nicht, ob der aus Bio-Baumwolle ist."
Umweltschutz am Set: von Catering bis Requisite
Mit dem "Grünen Drehpass" haben Diers und sein Motivaufnahmeleiter und Mitstreiter Robert Hertel einen Leitfaden, wie ein Film nachhaltig produziert werden kann. Ein Blick ins digitale Papier – Ausdrucke bitte vermeiden! – zeigt detailreiche Empfehlungen für die Bereiche Ausstattung, Produktionsbüro, Catering, Müll, Transport/Mobilität, Licht/Technik und hilft, die CO2-Bilanz zu berechnen: "Bewegungsmelder und Tageslichtsensoren vermeiden unnötig eingeschaltete Lampen. – Versuchen Sie, das Produktionsbüro mit Gebrauchtmöbeln auszustatten. – Vermeiden Sie jede Art von Wärmepilzen. – Telefon-/Videokonferenzen statt Meetings mit Anreisen. – Alle Hinweisschilder am Set aus recycelbarem Material einsetzen. – Flugreisen vermeiden! Geben Sie Anreize für die Darsteller*innen und Crew durch reduzierte Tickets für Bus und Bahn. – Bieten Sie Fahrräder für Stab und Crew für kürzere Strecken auf dem Gelände an. – Setzen Sie Tageslicht oder LED-Beleuchtung ein. – Statt Tape elastische Gummibänder zum Befestigen verwenden. – Bauholz sollte aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammen. – Set-Bauten oder Requisiten wiederverwenden oder an Schulen und karitative Einrichtungen weitergeben. – Einsatz von wiederverwendbarem Geschirr und Besteck. – Mobile Wasserstationen am Set. – Vertrieb des Films nur online über elektronische Presse-Kits." So geht es über viele Seiten und durch alle Gewerke.
Künstlicher Schneeregen ohne Chemie?
Produktionsleiter Diers hat die Vorgaben akribisch für alle Tätigkeiten und Mitarbeiter*innen der Filmproduktion durchdekliniert und versucht, jeden und jede fürs nachhaltige Engagement zu begeistern. Dabei unterstützt das Team ein für den Film engagierter "Green Consultant", ein Nachhaltigkeitsberater. Nun aber muss Diers noch einen besonders kniffligen Fall lösen: Wenn es laut Drehbuch im Film "Die Luft, die wir atmen" heftig graupeln soll – kriegt die Special-Effects-Firma den Schneeregen filmreif hin und vor allem: ganz ohne Chemie?
Wie Schauspieler*innen reisen
Wie überall stecken Schwierigkeiten im Detail: Wenn die Maske wiederverwendbare Waschlappen statt Wattepads benutzt beispielsweise – entspricht das den hygienischen Vorgaben? Auch kann Diers noch keine E-Autos, sondern zunächst nur Hybridfahrzeuge anmieten. Bei Reisen der Schauspieler*innen stellt nicht nur Diers sich die Frage, warum Subventionen die Flüge derzeit billiger machen als Bahntickets. Wenn im April die letzte Klappe fällt beim Dreh von "Die Luft die wir atmen" – ein Filmtitel, der rein zufällig so gut passt −, werden Diers und sein Team all ihre Neuerungen gespannt in den CO2-Rechner eingeben. Dass sich alles lohnt, wissen sie schon.