Ulrik Haagerup

Ulrik Haagerup, dänischer Journalist und weltweit mit der Idee des "Konstruktiven Journalismus" unterwegs, machte kürzlich auch im Hessischen Rundfunk Station, hielt den hr-Redakteuren den Spiegel vor und entwarf Zukunftsszenarien.

Ulrik Haagerup spielt mit journalistischen Wahrheiten: "Vergessen Sie den Satz ‘Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten‘. Ersetzen Sie ihn durch ‘Machen Sie schlechte zu guten Nachrichten.‘“ Seine entwaffnende Offenheit und seine Bereitschaft, auch mit eigenen, früheren redaktionellen Entscheidungen hart ins Gericht zu gehen, machen den Vordenker Haagerup ungeheuer glaubwürdig. Journalismus heute: zu einseitig, viel zu negativ. "Kennen Sie diesen Small Talk auf einer Party?," fragt er das hr-Publikum. "Was machen Sie beruflich?" Antwort: "Ich bin Journalist." Reaktion: "Warum sind Sie alle immer so negativ?" Antwort im Geiste: "Es ist eine schlechte Angewohnheit."

Betonung des Negativen verzerrt die Realität

Schwierig ist, dass diese Angewohnheit die Realität verfälscht. Nehmen wir Afrika: "Was fällt Ihnen dazu ein?", fragt Haagerup ins Publikum. Es hagelt Stichworte wie "Armut", "Krieg" oder "Korruption". Dabei gibt es in Afrika erstaunlich gut funktionierende Demokratien und erfreuliche wirtschaftliche Entwicklungen. Anderes Beispiel: US-Amerikaner meinen, es gebe 32 Prozent Arbeitslose. Es sind aber nur sechs Prozent. "Hillary Clinton bezog sich auf die Fakten und meinte, das sei doch eine gute Situation. Donald Trump bezog sich auf die gefühlte Zahl und versprach, eine Mauer an der mexikanischen Grenze zu bauen. Wen hätten Sie gewählt?"

Ulrik Haagerup

Die Kluft zwischen tatsächlichen und gefühlten Fakten ist zuweilen groß und wird durch die übliche Berichterstattung nicht kleiner. Die Ursachenkette: Ständige negative Ausrichtung in der Berichterstattung ruft Ungerechtigkeitsempfinden und Verunsicherung in der Bevölkerung hervor. Und die rechtspopulistischen Parteien freuen sich über wachsenden Zuspruch. Haagerup sieht hier einen direkten Zusammenhang.

Lösung statt Krise

Die Antwort auf diese medialen Fehlentwicklungen lautet für ihn "Konstruktiver Journalismus". Dazu hat der Buchautor und langjährige Nachrichtenchef von DR, der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt Dänemarks, das unabhängige "Constructive Institute" gegründet. Die Mission: mit "konstruktivem Journalismus" eine ausgewogenere und lösungsorientierte Berichterstattung stärken.

Beispiel "Ärztemangel auf dem Land". Die schlechte Nachricht: Kein Arzt vor Ort – alte Frau starb. Die "erfolgversprechenden" Zutaten: Drama, Krise, Opfer. "Wir haben versucht, die Geschichte anders zu erzählen", erzählt Haagerup. Seine Redaktion fand in Norwegen ein Dorf, das mit einem schönen Haus, Hilfe bei der Jobsuche des Partners, Kinderbetreuung und den Vorzügen des Landlebens warb – und seinen Arzt bekam.

Ulrik Haagerup lässt ein nachdenkliches Publikum zurück. "Wir sollten Nachrichten vielleicht wirklich einmal aus einer anderen Perspektive auswählen und formulieren", sagt Martin Dorra, Nachrichtenkoordinator im Hörfunk. Nina Pater von der "Hessenschau" will künftig wieder mehr interessante, konstruktive Geschichten erzählen. Und Jesko von Schwichow von hr2-kultur wünscht sich "mehr Mut, gegen den medialen Mainstream zu schwimmen". Der hr-Journalismus entwickelt sich weiter.

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"Wir brauchen einen öffentlich finanzierten Rundfunk, ...

weil wir sonst den Qualitätsjournalismus gefährden. Die Werbeeinnahmen gehen zurück, und die meisten Menschen wollen auch für guten Journalismus nichts bezahlen. Wer sonst sollte sicherstellen, dass die Deutschen gut informiert sind, über sich selbst und ihren Platz in der Welt? Dazu müssen wir, anders als private Anbieter, das öffentliche Interesse über unser eigenes stellen. Viele Menschen glauben nicht mehr, dass wir wahrhaftig berichten. Wenn wir über alle gesellschaftlichen Strömungen berichten, also auch die, die wir nicht mögen, sollten wir nicht die Probleme in den Vordergrund rücken, sondern Lösungsansätze. Das ist der Kern des konstruktiven Journalismus." (Ulrik Haagerup)

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