Eine Collage aus den Fotos von sechs Schüler*innen

Homeschooling, Hybridunterricht, soziale Distanz: Wie erleben hessische Schüler*innen die Corona-Pandemie? Das erzählen Jugendliche in der ARD-Mediatheksserie "Corona-Logbuch Schule" des Hessischen Rundfunks (hr). Und zwar auf ihre Art: mit emotionalen Selfie-Videos. "Lange genug wurde über Schule ohne die Schüler*innen diskutiert", finden die hr-Journalistinnen Petra Boberg und Christine Rütten. Sie möchten eine öffentliche Debatte anstoßen.

hr.de: Sie wollten wissen, wie es hessischen Schüler*innen in der Corona-Krise geht und haben die Betroffenen in Selfie-Videos selbst erzählen lassen. Diese Video-Tagebücher sind das Herzstück des "Corona-Logbuchs Schule". Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Petra Boberg: Wir waren überrascht, wie viele Schüler*innen sich bei uns gemeldet haben. Die Idee kam sehr gut an, wir haben damit offensichtlich einen Nerv getroffen. Die Schüler*innen wurden bislang aus ihrer Sicht einfach zu wenig gesehen und das hat sie geärgert. Sie sagten uns, dass sie sich teilweise wie Schachfiguren fühlten, über die einfach entschieden werde. Unser Projekt gab ihnen die Chance, unverfälscht zu erzählen, wie es ihnen geht.

Christine Rütten: Wir haben intensiv darüber diskutiert, wie wir Schüler*innen aus ganz Hessen eine Stimme geben können. Dafür war es uns wichtig, wirklich nah an sie heranzukommen. Das ist durch den Selfie-Modus in besonderer Weise möglich geworden. Dieses Format ist das Medium der Schüler*innen. Das Material, das wir bekommen haben, ist sehr nah, authentisch, emotional und einfach echt.

Wie konnten Sie die Schüler*innen erreichen? Gerade die, denen es vielleicht nicht gut geht, weil sie sozial isoliert oder digital abgeschnitten sind?

Petra Boberg in der hr-Goldhalle

Petra Boberg: Da hat uns geholfen, dass hr-iNFO bereits gut im Bildungsbereich vernetzt ist. 2019 haben wir mit dem Projekt "Unterricht ungenügend" zu Lehrermangel und pädagogischer Ausbildung recherchiert. Da haben wir uns wichtiges Vertrauen bei den Schulen erarbeitet, das kam uns jetzt zugute. Sonst wären beispielsweise Dreharbeiten in Corona-Zeiten überhaupt nicht möglich gewesen. Wir hatten aber auch tolle Unterstützung von den Schulen. Auch der Hessische Landesschulsprecher und einzelne Stadtschulsprecher haben auf unser Projekt hessenweit aufmerksam gemacht und es unterstützt. Nicht zuletzt war das Frankfurter Mädchenbüro Milena eine wertvolle Unterstützung.

Der Kontakt zu den Schüler*innen lebt von Vertrauen und echtem Interesse an den Kindern und Jugendlichen. Es war für uns nicht selbstverständlich, dass die Betroffenen sich uns gegenüber so geöffnet haben. Der damit verbundenen Verantwortung sind wir uns sehr bewusst. Wir gehen mit dem, was die Schüler*innen uns anvertrauen, achtsam um und nehmen ihre Bedürfnisse, Sorgen und Wünschen ernst.

Welche Rolle haben Sie als Journalist*innen?

Porträtfoto Christine Rütten

Christine Rütten: Unsere journalistische Rolle ist es, wichtige, relevante Themen zu platzieren und darüber eine öffentliche Debatte anzustoßen. Wir bauen Vertrauen zu unseren Protagonist*innen auf und bleiben gleichzeitig in einer beobachtenden Rolle, während die Schüler*innen uns ungewöhnliche Einblicke in ihr Leben gewähren. Hier die Distanz zu wahren ist zugegebenermaßen nicht immer einfach. Aber das ist unsere besondere Verantwortung.

Was kann so eine Recherche bewegen?

Petra Boberg: Es geht darum, dass sich die Schüler*innen gesehen fühlen. Lange genug haben Politiker*innen, Lehrer*innen und Eltern über Schule ohne die Schüler*innen diskutiert. Es wurde unserer Meinung nach zu wenig darauf geschaut, wie es den direkt betroffenen Kindern und Jugendlichen in der Pandemie tatsächlich geht. Wir haben die Schüler*innen für unsere Projekt über einen längeren Zeitraum begleitet und zeigen, wie sich ihre Gefühle verändern. Selbst sehr resiliente Schüler*innen kommen nach dem zweiten Lockdown an ihre Grenze, wie wir während unserer Dreharbeiten gemerkt haben.

Christine Rütten: Natürlich hoffen wir auch, dass wir eine öffentliche Debatte anstoßen und mit der siebenteiligen Doku-Serie und dem hr-Thementag am 23. Februar dazu beitragen, dass mehr wahrgenommen wird, was hinter den Schlagzeilen rund um die vermeintliche "Verlierergeneration" tatsächlich passiert. Die Schüler*innen haben eine klare Vorstellung davon, was gut für sie ist und was nicht. Vielleicht gelingt es durch unser Projekt, dass ihre Ideen mit in die Öffnungsdebatte einfließen können.