Ukraine Berichterstattung

hr-Korrespondent Marc Dugge berichtet aktuell als einer von mehreren Reportern für die ARD aus der Ukraine. Wie ein Arbeitsalltag im Kriegsgebiet aussieht, welche Bilder sich einbrennen und wie die Erlebnisse vor Ort den Blick auf das eigene Leben verändern, darüber hat er im Interview gesprochen.

Aus welchen Gebieten haben Sie in der vergangenen Woche berichtet? Und wie sieht der "Arbeitsalltag" in einem Kriegsgebiet aus?  

Marc Dugge in schusssicherer Weste und Helm, auf dem "Presse" steht

Marc Dugge: Bisher habe ich nur aus Kiew und der Umgebung berichtet. Die Front ist zwar von hier derzeit einige Autostunden weit weg – aber natürlich besteht immer die Gefahr, dass auch die Stadt wieder Ziel eines Raketenangriffs wird. Fast täglich gibt es Luftalarm, meist in der Nacht. Aber immerhin ist seit mehr als zwei Wochen nichts mehr in Kiew eingeschlagen. Das Leben in der Stadt läuft zumindest tagsüber weitgehend normal. Viele Geschäfte, Supermärkte und Restaurants sind geöffnet. Ab 23 Uhr ist dann Ausgangssperre, de facto ist aber schon um 22 Uhr kaum noch jemand auf der Straße. Ich stehe morgens früh auf, um die Nachrichtenlage zu prüfen. Mit meiner Hörfunkkollegin Rebecca Barth wechsle ich mich mit Livegesprächen am Morgen ab. Dann habe ich oft über den Tag Interviewtermine – und am Abend und in der Nacht schreibe ich dann an meinen Reportagen. In den nächsten Tagen wird auch mein hr-Kollege Oliver Feldforth hier sein, dann möchten wir gemeinsam im Land unterwegs sein.  

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Welches Erlebnis, welche Bilder haben sich besonders eingebrannt? 

Natürlich die Bilder aus Butscha und Irpin. Die beiden Städte sind ja nur eine halbe Autostunde von Kiew entfernt. Wenn Du dort das Ausmaß der Zerstörung siehst, läuft es Dir kalt den Rücken runter. Die Hitze, die Metall und auch Glas hat schmelzen lassen. Die Wucht der Artillerie, die Häuser komplett dem Erdboden gleich gemacht hat… und dann die Schilderungen der Menschen. Manche sind filmreif. Ein ukrainischer Kollege hat mir erzählt, wie sich russische Soldaten in seinem Haus eingenistet haben und er über Wochen mit seiner Familie im Keller wohnen musste. Und wie ihm dann dank einem Trick die Flucht im eigenen Auto gelang. Wahnsinn.

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Gab es Momente, in denen Sie an Ihre eigenen Grenzen gestoßen sind? Welche Rolle spielt die Angst? 

Nein, an die eigenen Grenzen bin ich bisher noch nicht gestoßen, glücklicherweise. Aber als ich zum ersten Mal nachts die Sirenen heulen hörte, hatte ich schon ein mulmiges Gefühl. Daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Wir planen hier jeden Schritt mit unseren Sicherheitsberatern genau. Das gilt besonders für Fahrten im Land. Da gibt es strenge Sicherheitsprotokolle. Aber mit der Sicherheit ist es so eine Sache. Die Russen haben ja in den vergangenen Wochen immer wieder Ziele im ganzen Land angegriffen – auch Orte, die keinerlei militärische Bedeutung haben. Vermutlich, um zu vermitteln: In der Ukraine ist es nirgends sicher.

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ARD-Berichterstattung: Beiträge von Marc Dugge

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Wie gehen Sie mit dem, was Sie vor Ort erleben, um? Wie verändert sich im Angesicht des Krieges der Blick auf die persönlichen Lebensumstände? 

Immer wieder denke ich: Was habe ich für ein Glück! Ich denke, es fällt vielen von uns schwer, sich auszumalen, was es bedeutet, in einem Kriegsgebiet zu leben. Es beeinflusst alle Ebenen im Leben: Privates Glück, wirtschaftliches Wohlergehen, Zukunftsplanung. Gerade letzteres ist bei vielen Ukrainern gerade völlig im Ungewissen. Werde ich morgen noch einen Job haben? Werde ich bald noch in meinem Haus leben können? Werden ich und meine Familie diesen Krieg überleben? Ich habe gestern einen jungen Mann getroffen, der große Angst hat, an die Front zu müssen. Der sitzt da in einem Coffeeshop wie er auch im Nordend sein könnte, trinkt seinen Flat White und sagt: Ich bin doch nicht für die Armee gemacht! Und gleichzeitig sieht er ein, dass jetzt jeder Mann, jede Frau gebraucht wird… Kiew fühlt sich für mich sehr europäisch an, sehr modern, sehr vertraut. Ich fühle mich den Menschen nahe. Das macht das alles für mich hier umso eindringlicher. 

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